Wie werden sich Menschen künftig von einem Ort zum anderen bewegen? Das Projekt „Futures of Mobility“ entwirft Szenarien für das Jahr 2030+.

Text: Jana Galinowski | Illustrationen: Hannes Geipel

Mit dem Auto direkt in den 30. Stock. Automatisierte Lieferungen zum Wunschtermin an die Haustür. Personendrohnen, die den Stau auf den Straßen umfliegen. So könnte Mobilität in großen Städten zukünftig aussehen. Der Alltag für Bewohner einer Megacity ist aber ganz anders als auf dem dünn besiedelten Land. Deshalb sind auch die Anforderungen an die Mobilität sehr unterschiedlich. Der Volkswagen Konzern hat verschiedene Szenarien für das Jahr 2030+ entwickelt. „Mit Futures of Mobility liefern wir eine greifbare Vorstellung vom künftigen Leben unserer Kunden an unterschiedlichen Orten der Welt“, sagt Dr. Daniel Kauer, Leiter Produkt- und Plattformstrategie Volkswagen Konzern. San Francisco, Peking, Mumbai und das östliche Sachsen sind dabei Stellvertreter für viele andere Regionen. 

Keine Lösung für alle

Unter der Projektleitung von Dr. Michael Müller und Bita Daryan wurden zahlreiche Trends und Faktoren untersucht. Beispielsweise die Urbanisierung: 2050 werden etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben – doppelt so viele wie heute. Das hat nicht nur Folgen für den Verkehr in den Ballungsräumen, sondern auch für die ländlichen Gebiete. Hinzu kommen ökonomische und politische Rahmenbedingungen, kulturelle Entwicklungen, Umweltfaktoren und Innovationskraft. „Je nach Stadttypus braucht es also eigene Mobilitätslösungen“, erläutert Dr. Axel Heinrich, Leiter Konzern-Forschung bei Volkswagen. Beispielsweise werde Peking stark in die Höhe wachsen – deshalb werde dort vertikale Fortbewegung wichtiger. In San Francisco hingegen könnten Fahrzeuge gefragt sein, die sich den Bedürfnissen der Nutzer anpassen und zum mobilen Büro oder Wohnzimmer werden. In ländlichen Gebieten wie Ostsachsen könnten Shared-Mobility-Konzepte eine größere Rolle spielen.

Von der Forschung auf die Straße

Die Group Future Heads, ein Netzwerk mit rund 200 Experten aus vielen Bereichen und Regionen des Volkswagen Konzerns, steckt gebündelte Kompetenzen in das Projekt. Auf Basis der Futures of Mobility baut das Unternehmen sein Portfolio aus. „Produkt, Service und Geschäftsmodell werden nicht mehr getrennt, sondern als ganzheitliche Mobilitätslösungen für unsere Kunden entwickelt“, beschreibt Daniel Kauer den Ansatz. Doch schon heute bestimmt die Zukunft die Arbeit im Konzern. „An vielen Stellen erleben und gestalten wir die Veränderung bereits jetzt“, so Axel Heinrich, „sei es bei neuen Antriebstechnologien, bei neuen Mobilitätsdiensten oder beim autonomen Fahren“.

„Unsere Lebenswelten stellen nicht bestimmte Fahrzeuginnovationen in den Mittelpunkt, sondern die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen.“

Dr. Daniel Kauer, Leiter Produkt- und Plattformstrategie, Volkswagen Konzern

SAN FRANCISCO: Vorreiter an der Westküste

Kaum ein Ort hat den digitalen Wandel so geprägt wie San Francisco. Das nahe gelegene Silicon Valley ist einer der wichtigsten IT- und Hightech-Standorte der Welt. Gleichzeitig muss die Stadt große Herausforderungen bewältigen: Erdbebengefahr und drohender Wassermangel gehören dazu. Der Wohnraum wird immer knapper. Aus diesen Gründen muss eine Infrastruktur entstehen, die Mobilität ermöglicht und ökologisch effizient ist.

So entwickelt sich San Francisco 2017 – 2030+

Ökonomie: Die Wirtschaft in der Region boomt und wird weiter wachsen. Voraussichtlich wird die Anzahl der Arbeitsplätze von 600.740 (2013) auf knapp 707.000 im Jahr 2030 steigen. Gleichzeitig könnten sich soziale Ungleichgewichte verstärken. Schon heute hat San Francisco die höchste Armutsrate der Region.
Mobilität: Der Wohnraum wird knapper, die Mieten teurer, vor allem in der Stadt. Deshalb werden immer mehr Einwohner in die Randbezirke ziehen müssen und von dort Richtung Downtown pendeln. San Francisco möchte die Straßen sicherer machen: Bis 2024 soll es keine Verkehrstoten mehr geben (Vision Zero).
Innovation: Durch die Nähe zum Silicon Valley herrscht in San Francisco eine große Offenheit gegenüber Zukunftstechnologien. Die Stadt wird auch künftig führend in der Innovationsökonomie sein. Gestärkt wird diese Vorreiterrolle durch geplante Infrastrukturausgaben von rund 10,1 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2030.
Umwelt: Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist groß, und die Stadt hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2030 soll der Elektrizitätsbedarf zu 100 Prozent mithilfe erneuerbarer Energien gedeckt werden. Außerdem soll bis 2020 kein Müll mehr produziert werden. Die Recyclingquote beträgt heute bereits 80 Prozent.

Auf den Straßen der Zukunft

1 Adaptive Fahrzeuge
Das Auto als Ort zum Leben, Wohnen, Arbeiten – und Unterwegssein. Künftig können Fahrzeuge individuell konfiguriert und an den jeweiligen Bedarf angepasst werden. Zum Beispiel das Open Air Office: Das Fahrzeug ist Arbeitsplatz und Fortbewegungsmittel zugleich. Es ist voll vernetzt, ausgestattet unter anderem mit Sensoren. Damit kann es sich sogar zur Kamera oder zum Scanner wandeln. So kann es beispielsweise 3D-Aufnahmen für Virtual-Reality-Filme herstellen.
2 Smart Bicycles
Ausgestattet mit Navi, GPS und Sensoren werden auch Fahrräder Teil der digitalen Infrastruktur. So können die verschiedenen Verkehrsmittel – Autos, autonome Shuttles und Fahrräder – entspannt nebeneinander existieren. Durch den Rückbau von Parkflächen bekommen Radler auch mehr Platz. Die zusätzlichen Fahrradspuren sorgen außerdem für mehr Sicherheit.
3 Induktive Ladestationen
E-Mobilität wird zum Standard. Überall in der Stadt gibt es Ladestationen, die Fahrzeuge unkompliziert mit Strom versorgen – ganz ohne Kabelsalat. Künftig werden induktive Platten beispielsweise in Parkflächen eingelassen. Wird das Auto dort abgestellt, lädt es ganz automatisch.

PEKING: effiziente Hypercity

Eine Megacity zwischen Tradition und Moderne: Die Gesellschaft ist durch die politischen Rahmenbedingungen geprägt. Doch Wohlstand und Bildung sorgen für eine wachsende Mittelschicht, Individualität und Nachhaltigkeit gewinnen an Bedeutung. Damit steigen auch die Ansprüche an Infrastruktur, Mobilität und Sicherheit. Der Großraum Peking soll zudem städtisches Leitbild des künftigen Chinas werden.

So entwickelt sich Peking 2017 – 2030+

Ökonomie: Peking ist ein attraktiver Industriestandort, der kontinuierlich wächst. China plant, in den kommenden zehn Jahren die heimische Technologiebranche und Industrieproduktion zu stärken, zum Beispiel sollen 70 Prozent der Industrieroboter aus chinesischer Produktion stammen.
Mobilität: Bis 2030 werden rund 130 Millionen Menschen im Großraum Peking wohnen, knapp 30 Millionen mehr als heute. Dadurch wachsen die Verkehrsströme immens. Hochgeschwindigkeitszüge sorgen für effizienten Transport. Bereits heute ist das Bullet-Train-Schienennetz in China länger als in Europa. Bis 2020 soll es um 7.000 Kilometer erweitert werden. Außerdem plant die Regierung bis 2030 den Bau von 23 neuen U-Bahn-Linien.
Innovation: Die Pekinger haben eine hohe Affinität zu neuen Technologien. Die Region gilt außerdem als wichtigster Player des gigantischen Markts für Datenerhebung und -analyse. Auch fördert die Regierung die Ansiedlung zukunftsweisender Technologien und Innovationen.
Umwelt: Smog ist in Peking ein großes Problem. In Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele 2022 wird konsequent gegen die Luftverschmutzung vorgegangen. Politische Restriktionen wie das Verbot bestimmter Automodelle und die Förderung der E-Mobilität haben bereits zu einer deutlichen Verbesserung der Luft- und Lebensqualität geführt.

Auf den Straßen der Zukunft

1 Schnelltrassen
Wegen der hohen Bevölkerungsdichte ist effiziente Mobilität besonders schwierig. Eine Lösung sind eigene Fahrtrassen für autonome Fahrzeuge. Dort können sie schneller und sicherer unterwegs sein als auf Straßen mit Mischverkehr.
2 Vertikale Mobilitätskonzepte
Wer es komfortabel mag, kann „First Class Mobility“ in luxuriös ausgestatteten Fahrzeugen genießen. Dort können beispielsweise Geschäftsleute während der Fahrt entspannen oder arbeiten. Die Fahrzeuge werden künftig an Wolkenkratzer andocken und an ihnen hochfahren. Die Passagiere steigen direkt im richtigen Stockwerk aus.
3 Personendrohnen
Trotz smarter Verkehrskonzepte werden die Straßen in Peking immer noch verstopft sein. Am schnellsten kommt man in der Luft voran. Die ersten Personendrohnen bringen die Pekinger an ihren Zielort. An Quadrokoptern hängen Kabinen, in denen ein bis zwei Personen bequem Platz haben.

MUMBAI: auf dem Weg zur Moderne

Von außen betrachtet herrscht hier Chaos. Mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern hat Mumbai die höchste Bevölkerungsdichte der Welt. Die moderne Metropole ist Anziehungspunkt für internationale Fachkräfte und junge, hochgebildete Inder. 2030 werden im Ballungsraum voraussichtlich 33 Millionen Menschen wohnen. Das rasante Wachstum verschärft die sozialen und infrastrukturellen Probleme. Vor allem beim heute schon knappen Wohnraum. Gleichzeitig soll es bis 2022 keine Slums mehr geben.

So entwickelt sich Mumbai 2017 – 2030+

Ökonomie: Die junge Bevölkerung und immer besser ausgebildete Fachkräfte machen Mumbai zu einem beliebten Standort für die digitale und die Finanzindustrie. Die Wirtschaft wird signifikant wachsen, 2025 wird Mumbai zu den wohlhabendsten Städten der Welt gehören.
Mobilität: Durch die steigende Wirtschaftskraft können sich mehr Menschen Autos leisten. 2025 werden 40 bis 45 Personen pro 1.000 Einwohner einen eigenen Pkw besitzen. Heute sind es nur 20. Das Verkehrssystem ist schon heute überlastet, die Situation wird sich noch verschärfen.
Innovation: Mumbai ist eine Stadt der Gegensätze. Einerseits mögen die Mumbaianer Hightech und probieren gern neue Technologien aus. Andererseits bleibt die Gesellschaft durch traditionelle Denk- und Arbeitsweisen geprägt.
Umwelt: Die Lebensqualität in Mumbai ist belastet. Ursache ist der kritische Zustand der Umwelt im Hinblick auf Emissionen, Luft- und Wasserqualität sowie Hygiene. Die indische Regierung unternimmt erste Schritte: Bis 2030 sollen die Emissionen um 35 Prozent sinken.

Auf den Straßen der Zukunft

1 Shared-Mobility-Konzepte
Durch die Digitalisierung wird die gewachsene Infrastruktur in Mumbai effizienter genutzt. Für entspannte Mobilität sorgen beispielsweise Shared-Mobility-Konzepte: Passend zum Anlass können die Menschen verschiedene Fahrzeuge aus einer Flotte nutzen und sich teilen.
2 Bus Rapid Transportation
Schnell und problemlos ans Ziel gelangen, trotz des immensen Pendlerverkehrs: In Mumbai wird es Fahrspuren nur für innovative Schnellbusse geben. Durch die eigene Infrastruktur bringen sie ihre Passagiere schneller und zuverlässiger ans Ziel.
3 e-mobility-Zonen
Für bessere Luft sorgt die Verbreitung von Elektrofahrzeugen. Ein Teil des nachhaltigen Stadtkonzepts ist deshalb die Einrichtung von emissionsfreien Zonen in der Stadt. Dort dürfen nur E-Fahrzeuge unterwegs sein. Wer keins besitzt, kann über die MOIA App ein Zero-e-Shuttle buchen.

OSTSACHSEN: Distanzen überbrücken

Malerische Landschaften, aber wenige Menschen – schon heute ist der demografische Wandel in Sachsen deutlich zu spüren. Einige Kommunen werden bis 2030 fast ein Viertel ihrer Einwohner verlieren. Vor allem die Jungen ziehen in die Stadt: 2030 wird das Durchschnittsalter in Sachsen rund 48 Jahre sein. Das Leben auf dem Land hat auch Vorteile: Man kennt sich, hilft sich und engagiert sich für seine Gemeinde.

So entwickelt sich Ostsachsen 2017 – 2030+

Ökonomie: Die Landwirtschaft bleibt zentral, aber auch der Tourismus bietet Einnahmen und Arbeitsplätze. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird jedoch die Rente die wichtigste Einkommensquelle sein. Gleichzeitig könnten in Ostsachsen soziale Innovationen entstehen, zum Beispiel Nachbarschaftsdienste und Tauschkonzepte.
Mobilität: Durch die dünne Besiedelung ist Infrastruktur teuer, der Ausbau stagniert. Das gilt für die Breitbandabdeckung genauso wie für Energie, Waren und Dienstleistungen, Schulen und Ärzte. Ohne Auto lässt sich der Alltag in der Region kaum bewältigen. Angesichts der älter werdenden Bevölkerung und des allgemein knappen Budgets kann das zum Problem werden.
Innovation: Noch immer gibt es keine zuverlässige und flächendeckende Breitbandversorgung. Künftig sollen jedoch 160 Millionen Euro in den Ausbau gesteckt werden. In der Region werden schon heute neue Wohnformen getestet, beispielsweise Mehrgenerationenhäuser.
Umwelt: Auf dem Land ist gute Luft, das wissen vor allem die Touristen aus der Stadt zu schätzen. Deshalb sind Nachhaltigkeit und Naturschutz ein Thema in der Region. Regenerative, individuelle Energiegewinnung wird sich verbreiten. Auch werden neue Fahrzeuge meist einen Elektroantrieb haben.

Auf den Straßen der Zukunft

1 Vernetzte Versorgung
Supermarkt, Bäckerei oder Apotheke sind meist viele Kilometer entfernt. Deshalb werden vernetzte Liefersysteme wichtig. Beispielsweise bringen fahrende Tante-Emma-Läden die Produkte des täglichen Bedarfs direkt an die Haustür. Community-Plattformen machen es möglich, dass die Nachbarn Besorgungen mitbringen, wenn sie in die Stadt fahren.
2 Shared Mobility
Auf dem Land bleibt das eigene Auto wichtig. Doch wird es Konzepte geben, die Fahrzeuge zu teilen. Beispielsweise Peer-to-Peer-Plattformen, die wie Mitfahrzentralen funktionieren. Oder autonome Shuttles, die direkt vor die Haustür der Passagiere kommen.
3 Temporäre Infrastrukturen
Die Breitbandversorgung wird auf dem Land weiterhin nicht flächendeckend sein. Deshalb werden temporäre digitale Infrastrukturen geschaffen. Und zwar in der Luft: Drohnen mit integrierter Funkeinheit ermöglichen leistungsfähige Datenleitungen.

„Die Szenarien der künftigen Lebenswelten werden sich weiterentwickeln, und sie werden weiter verfeinert.“

Dr. Axel Heinrich, Leiter Konzern-Forschung,  Volkswagen Konzern

Smart-City-Konzepte

Die Volkswagen Gruppe arbeitet weltweit an Services und Lösungen für intelligente Mobilität, unter anderem im Rahmen der folgenden Forschungs- und Pilotprojekte:

SEAT Metropolis: Lab Barcelona
SEAT und die Stadt Barcelona wollen Innovation und nachhaltige Mobilität fördern. Das Unternehmen zählt zu den Initiatoren von CARNET. An dem Forschungs- und Innovationsnetzwerk sind zudem die Volkswagen Konzernforschung und die polytechnische Universität von Katalonien (UPC) beteiligt. Das Lab hat schon konkrete Lösungen vorgestellt, beispielsweise die Navigations-App „About it“.

Intelligente Lösungen für China
In den Ballungsräumen Chinas wachsen die Anforderungen an smarte Mobilität. Konzepte für die intelligente Stadt der Zukunft will der Volkswagen Konzern gemeinsam mit Partnern wie der Tongji-Universität in Schanghai und weiteren Städten in China erarbeiten.

Smart City Dresden 2025+
Dresden soll Modellstadt für smarte Verkehrskonzepte werden. Deshalb kooperieren Volkswagen Sachsen und die Landeshauptstadt. Sie wollen schrittweise neue Lösungen und Services einführen. Wie die Smartphone-App „UMA Navigation“, die je nach Verkehrslage die beste Route berechnet und freie Parkplätze anzeigt.